Die Geschichte der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft

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Ein Bauträgerverein in München
(später in Dornach)


als solcher mit ganz wenigen, stimmberechtigten Mitgliedern und
von Anfang an hierarchisch strukturiert

Neben der freien Mitgliedergesellschaft mit dem Namen «Anthroposophische Gesellschaft», die für Tausende von Menschen unterschiedlichster religiöser, politischer, gesellschaftlicher oder weltanschaulicher Herkunft ein verbindender «Heimatort» sowie ein kultureller Kraftquell hätte werden sollen, gab es seit 1911 einen Bauträgerverein mit dem Namen «Johannesbau-Verein». Dieser Verein wurde für völlig andere Aufgaben geschaffen. Auf dieser Seite werde ich die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte dieses Vereins darstellen.
Dabei wird deutlich werden, dass die große Tragik in der Entwicklungsgeschichte der «Anthroposophischen Gesellschaft» darin besteht, dass diese freiheitlich strukturierte Mitgliedergesellschaft in einen für vollkommen andere Aufgaben geschaffenen Bauträgerverein aufgenommen wurde, was niemals die Absicht Rudolf Steiners gewesen war!
Mit dieser schrittweisen «Verschmelzung», die während einer General-Versammlung am 29. Dezember 1925 begonnen hatte, gab es die von Rudolf Steiner konzipierte «modernste Gesellschaft die es geben kann» nicht mehr. Diese Gesellschaft, die weltweit kulturbelebend hätte wirksam werden sollen, ist an diesem Tag in einen Dornröschenschlaf verfallen. Ich verwende in diesem Zusammenhang auch gerne die Bezeichnung «Kaspar-Hauser-Schicksal» der Anthroposophischen Gesellschaft, da sie in einen «Einheitsverein» geraten ist und sich bis heute nicht aus dieser Gefangenschaft befreien konnte.

Zu meiner Methode:

Die Vorgänge, die auf diesen Seiten dargestellt werden, sind sehr komplex, und sie sind durch die Geschehnisse während der inzwischen annähernd einhundertjährigen Geschichte noch verwirrender geworden. Daher besteht die Gefahr, dass eine Beschreibung dieser Vorgänge und Entwicklungen sich in unzähligen wichtigen und weniger wichtigen Einzelheiten verliert.

Aus diesem Grund versuche ich dieser Gefahr zu begegnen, indem ich es in meinen Darstellungen vermeide, die Vorgänge bis in die letzten kleinen Details beschreiben zu wollen. Ich bemühe mich alles so darzustellen, dass der «Rote Faden» immer sichtbar bleibt. Und dieser «Rote Faden» ist:

Bis 1925 gab es zwei Institutionen mit ganz unterschiedlichen Zielen und Aufgaben. Und weil diese Institutionen für ganz unterschiedliche Aufgaben geschaffen wurden, wurden sie bei ihrer Gründung auch mit vollkommen unterschiedlichen Statuten ausgestattet.
Die Gesellschaftsstatuten der «Anthroposophischen Gesellschaft» bzw. die Vereinssatzung der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» waren in ihrer jeweiligen Struktur völlig unterschiedlich gestaltet. Zudem hatten diese beiden Institutionen bis zum Zeitpunkt ihrer Verschmelzung am 29. Dezember 1925 noch zwei völlig andere Mitgliedschaften.

Aus der von Rudolf Steiner konzipierten Gliederung von Gesellschaft und Verein entstand nach seinem Tod schrittweise ein Einheitsverein, ein «gemischter König», der dadurch in seinen Handlungsmöglichkeiten und in seiner Wirkungskraft stark eingeschränkt wurde, und das ist leider bis heute so geblieben.

«Auf geisteswissenschaftlichem Boden vereinigt man sich dadurch, daß man differenziert, individualisiert, nicht daß man zentralisiert.»

Rudolf Steiner:
«Das Schicksalsjahr 1923 in der Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft»
Ansprache, GA 259, 28. 02. 1923


«Johannesbau-Verein»

April 1911
Vereinsgründung in München


Frühjahr 1912
Verlegung des Vereins nach Dornach

22. September 1913
Eintragung ins Handelsregister von Dornach, Kanton Solothurn


1. November 1918
Namensänderung in:

«Verein des Goetheanum der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft»


8. Februar 1925
Satzungserweiterung und Namensänderung in:

«Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft»


Unterseiten in chronologischer Folge

  • Johannesbau-Verein, Gründung 1911 in München
    1910 - 1913 fanden in München die Uraufführungen der vier Mysteriendramen von Rudolf Steiner statt. In diesem Zusammenhang wurde versucht, in München einen künstlerisch angemessenen Bau für solche Anlässe zu erstellen. So entstanden die Pläne für den Johannesbau, der als Doppelkuppelbau in der Ungererstraße entstehen sollte. Im April 1911 wurde zu diesem Zwecke der «Johannesbau-Verein» mit folgenden leitenden Vorstandsmitgliedern gegründet:
    • 1. Vorsitzender
      Sophie Stinde
    • 2. Vorsitzender
      Hermann Linde
    • Schriftführer
      Gräfin Pauline von Kalckreuth
      und
      Dr. Felix Peipers
    • Kassier
      Graf Otto Lerchenfeld

    Rudolf Steiner wirkte als künstlerischer Beauftragter und Berater mit, wurde selbst jedoch nicht Vereinsmitglied.

    Nach der Eintragung des Vereins in das Vereinsregister der Stadt München im Mai 1911 erwarb der «Johannesbauverein» das Baugelände in der Ungererstraße. Dieser Verein sollte zudem Vermögensträger für den geplanten «Johannesbau» werden. Aus diesem Grund wurde dieser«Bauverein» von Anfang an mit einer hierarchischen Struktur versehen. Die Satzung schrieb vor, dass es lediglich 7 ordentliche Mitglieder – d.h. 7 stimmberechtigte Mitglieder – geben durfte. Fünf dieser sieben ordentlichen Mitglieder bildeten den Aufsichtsrat und zwei davon den eigentlichen Vereinsvorstand. Die Anzahl der außerordentlichen und beitragenden Mitglieder dagegen war unbegrenzt. Die letzteren durften nicht an den Mitgliederversammlungen teilnehmen, die außerordentlichen Mitglieder dagegen konnten an den Mitgliederversammlungen teilnehmen, hatten jedoch nur eine beratende Stimme ohne Stimmrecht.

    Nachdem aber das geplante Bauvorhaben im Januar 1911 bei den Baubehörden in München gescheitert war, wurde die Initiative für den Johannesbau nach Dornach verlegt. Diese neue Möglichkeit in der Schweiz ergab sich durch die großzügige Spende des Zahnarztes Dr. Emil Grosheintz, der in diesem nahe bei Basel gelegenen kleinen Ort ein geeignetes Baugrundstück zur Verfügung gestellt hatte. Bereits im September 1913 konnte mit den Bauarbeiten des Goetheanums begonnen werden.

    In mehreren Schritten ist aus diesem «Johannesbauverein» die heutige «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» entstanden. Diese Entwicklung wird in den folgenden Kapiteln genauer dargestellt.

  • 1913: Johannesbau-Verein, Sitzverlegung des Vereins Dornach

    Das Bauprojekt «Johannesbau» stieß bei den Baubehörden in München sowie bei den umliegenden Anwohnern auf erheblichen Widerstand. Deshalb wurde die Initiative für den «Johannesbau» nach Dornach in die Schweiz verlegt. Diese neue Möglichkeit ergab sich, nachdem von Emil Grosheintz in diesem kleinen Ort in der Nähe von Basel ein geeignetes Baugrundstück für ein solches Bauprojekt zur Verfügung gestellt wurde.

    Auch der Sitz des Vereins wurde nach Dornach verlegt, wo er Vermögensträger für den Johannesbau wurde und als solcher 1913 ins Handelsregister eingetragen werden musste.

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    Zur Struktur dieses Vereins:

    Auch der «Johannesbau-Verein» in Dornach sollte Vermögensträger des geplanten Baus werden und zudem Träger einer Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. Deshalb wurde auch dieser Verein von Anfang an mit «hierarchisch strukturierten Statuten» versehen. Wie schon im Münchner «Bauverein» wurde auch hier die Anzahl der ordentlichen Mitglieder bewusst klein gehalten. Der Verein durfte laut Satzung lediglich 12 ordentliche, also stimmberechtigte Mitglieder haben. Aus dem Kreis dieser insgesamt 12 stimmberechtigten Mitglieder wurde der Vereinsvorstand gebildet, der aus 10 Mitgliedern bestand.
    Emil Grosheintz, der das Baugelände in Dornach organisiert und zur Verfügung gestellt hatte, wurde jetzt 2. Vorsitzender, und nach dem Tode Sophie Stindes im Jahre 1915 wurde Emil Grosheintz 1. Vorsitzender des «Johannesbau-Vereins«.

    Zur Struktur dieses «Bauvereins» gehörte zudem, dass es seit der Vereinsgründung in Dornach im Jahre 19013 in den Vereinsstatuten immer einen «Ausschluss-Paragraphen» gab, nach dem ein Mitglied jederzeit und ohne Angaben von Gründen durch den Vorstand aus dem Verein ausgeschlossen werden konnte. Außerdem gehörte es zu den Aufgaben des Vorstandes, über die Aufnahme von Mitgliedern zu entscheiden.

    In der Vereinsstruktur bestand also von Anfang an ein zentraler Unterschied zwischen dem «Bauverein» und der während der Weihnachtstagung 1923/1924 gegründeten «Anthroposophische Gesellschaft». In dieser freien Mitgliedergesellschaft war es den Mitglieder und örtlichen Gruppen überlassen, über die Aufnahme von neuen Mitgliedern zu entscheiden, nicht so im «Bauverein».


    Bereits im September 1913 wurde mit den Bauarbeiten des Goetheanums, wie der Bau später genannt wurde, begonnen. Nach der Grundsteinlegung am 20. September 1913 gingen die Bauarbeiten sehr zügig voran, so dass schon am 1. April 1914 das Richtfest gefeiert werden konnte.

    Richtfest Erstes Goetheanum, 1914
  • 1. November 1918: «Verein des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft»

    Nachdem sich für das Gebäude auf dem Dornacher Hügel der Name «Goetheanum» eingebürgert hatte, wurde im Jahre 1918 auch der Vereinsname geändert in «Verein des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft». Wie bisher gab es auch weiterhin nur sehr wenige «ordentliche», d.h. entscheidungsberechtigte Mitglieder. Dies waren im Wesentlichen die Menschen, welche die Idee des Baues schon während der Münchner Zeit gefördert oder jetzt in der Schweiz das Dornacher Gelände geschenkt bzw. größere Geldsummen gespendet hatten.

    Der Vorstand war nach wie vor identisch mit dem Kreis der stimmberechtigten Mitglieder. Zu diesem kleinen Kreis der Entscheidungsträger kamen ca. 600 «beitragende Mitglieder» (Fördermitglieder) sowie ca. 500 «außerordentliche Mitglieder». Letztere bezahlten einen etwas höheren Mitgliedsbeitrag und waren berechtigt, an den Mitgliederversammlungen teilzunehmen, sie hatten dabei aber keinerlei Stimmrecht.

    Durch die Beschlüsse dieser Generalversammlung war der Verein jetzt nicht nur Vermögensträger des Baues, er wurde zusätzlich Träger der in der Entstehung befindlichen «Freien Hochschule für Geisteswissenschaft».

  • Silvester 1922/1923: Brand des ersten Goetheanums
    Goetheanum

    Sechs Jahre nach dem Richtfest konnte im Jahre 1920 der auf einem Betonfundament stehende und komplett aus Holz erbaute Doppelkuppelbau fertiggestellt werden. Menschen unterschiedlichster Nationalitäten hatten während des 1. Weltkrieges und auch noch in der Zeit danach unter schwierigsten Bedingungen am Innenausbau in diesem »Haus des Wortes« mitgewirkt.

    «Und es kam der furchtbare Krieg. Wenn auch das Tempo des Aufbaues des Goetheanums während des furchtbaren Krieges sich wesentlich verlangsamt hatte, eine Bresche in den Geist anthroposophischen Zusammenwirkens ist dadurch eigentlich nicht geschlagen worden. Die Dornacher Baustätte war tatsächlich innerhalb von Völkerfeindschaft und Völkerkampf eine Stätte, auf der Repräsentanten einer großen Anzahl einander bekriegender europäischer Nationen in friedvoller Arbeit, in liebevollem Miteinanderfühlen zusammen arbeiteten und zusammen dachten und zusammen wirkten. Und vielleicht darf es ohne Unbescheidenheit gesagt werden: die Liebe, die in diesen Bau hineingebaut worden ist, sie darf gezeigt werden, wenn einmal gesprochen werden wird in kulturhistorischem Sinne von demjenigen, was an Wellen des Hasses zwischen den Jahren 1914 und 1918 in der zivilisierten Menschheit entfacht worden ist.»


    Rudolf Steiner:
    Anthroposophische Gemeinschaftsbildung
    GA 257

    Leider gibt es nur wenige Fotographien aus dem Inneren des Goetheanums.

    Die zwei farbig bemalten und sich durchdringenden Kuppeln über dem Zuschauer- und Bühnenraum, die 2 x 7 und 2 x 6 tragenden und aus unterschiedlichen Hölzern geschnitzten Säulen mit ihren Sockeln, Kapitälen und Architraven sowie die geschliffenen, bunten Glasfenster mussten bei den Besuchern einen überwältigenden Eindruck hinterlassen haben.

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    Grundriss

    Modell Bühnenraum

    Auch wenn auf den Besucher und Betrachter dieses Baus die vielfältigsten Bilder und Motive einwirkten, Rudolf Steiner wollte mit diesem Gesamtkunstwerk nicht den nach Erklärungen strebenden Intellekt, sondern den ganzen Menschen ansprechen.

    «Nicht will diese Geisteswissenschaft etwa ausbilden eine abstrakt symbolische oder eine stroherne allegorische Kunst, die bloß das Didaktische in äußere Formen zwängt, nein, das ist durchaus nicht der Fall, sondern dasjenige, was ins Wort gebracht wird durch diese Geisteswissenschaft, kann durch das Wort wirken, kann sich durch das Wort gestalten. Es kann gesprochen werden von geistigen Vorgängen, von geistigen Wesenheiten der übersinnlichen Welt, indem man zu Ideen und zu den Ausdrucksmitteln der Ideen, zu den Worten, seine Zuflucht nimmt. Aber dasjenige, was dahinter steht, was sich eben auf diese Weise offenbaren will, ist viel reicher, als was ins Wort, in die Idee hineinkommen kann, drängt in die Form, in das Bild, wird von selbst zur Kunst, zur wirklichen Kunst, nicht zu einem allegorischen oder symbolischen Aussprechen. So ist es nicht gemeint, wenn von Dornacher Kunst die Rede ist.

    Das ist in Dornach versucht worden: der ganze Bau, die ganze Architektur ist so, daß sie aus dem Ganzen heraus gedacht ist und daß jedes einzelne an seinem Orte ganz individuell so gestaltet ist, wie es an diesem Orte sein muß.»

    Rudolf Steiner:
    Der Baugedanke des Goetheanum
    Bern, 29. Juni 1921

    «Als ich den ersten Kursus, der im September und Oktober 1920 im Goetheanum abgehalten worden ist, eröffnen durfte, schien es mir vor allem geboten, darauf aufmerksam zu machen, wie in der Anthroposophie geisteswissenschaftliche Erkenntnis, künstlerische Gestaltung und religiöse Innerlichkeit aus einer Quelle gesucht werden. In der Eröffnungsrede wies ich kurz darauf hin, und in Vorträgen «über den Baugedanken in Dornach» wollte ich zeigen, wie im Goetheanum die Kunst aus derselben Geistigkeit geschöpft worden ist, die in Ideen sich offenbaren will, wenn Anthroposophie in der Erkenntnisform auftritt.»

    Rudolf Steiner:
    Das Goetheanum in seinen zehn Jahren

    Drei Jahre nach der Fertigstellung wurde der Goetheanum-Bau ein Opfer der Flammen. Ein unvorstellbar schmerzhafter Verlust für alle, die diesen Bau erlebt, vor allem aber für all diejenigen, die über Jahre eigenhändig an diesem großen Werk mitgearbeitet hatten.

    Goetheanum, Goetheanunbrand

    Unmittelbar nach der Brandnacht, am 1. Januar 1923, spricht Rudolff Steiner vor einer Aufführung des Dreikönigspiels folgende Worte zu den anwesenden Zuschauern:

    «Meine lieben Freunde! Der große Schmerz versteht zu schweigen über dasjenige, was er fühlt. Und deshalb werden Sie mich auch verstehen, wenn ich ganz wenige Worte nur, bevor wir das Dreikönigsspiel beginnen, zu Ihnen spreche.
    Das Werk, welches durch die aufopfernde Liebe und Hingabe zahlreicher für unsere Bewegung begeisterter Freunde innerhalb von zehn Jahren geschaffen worden ist, ist in einer Nacht vernichtet worden. Es muß selbstverständlich gerade heute der schweigende Schmerz aber empfinden, wie viel unendliche Liebe und Sorgfalt unserer Freunde in dieses Werk hineingetan worden war. Und dabei möchte ich es zunächst, meine lieben Freunde, eigentlich bewenden lassen.»

    Rudolf Steiner:
    Das Schicksalsjahr 1923 in der Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft
    GA 259

    Und einen Monat nach dem Brand sprach Rudolf Steiner in einem Vortrag in Dornach:

    «Das seit zehn Jahren im Bau begriffene Goetheanum in Dornach ist nicht mehr. Die Anthroposophische Gesellschaft hat diesen Bau verloren. Sie hat damit außerordentlich viel verloren. Man muß sich nur klarmachen, was aus der Anthroposophischen Gesellschaft durch den Bau des Goetheanums geworden ist, und man wird, wenn man die Größe des Verlustes in der richtigen Art sich allmählich vor Augen führt, auch die Größe des Schmerzes ermessen, für die es keine Worte gibt, die Größe jenes Schmerzes, der uns geworden ist durch die furchtbare Brandkatastrophe in der Neujahrsnacht 1922 auf 1923. Bis zu dem Zeitpunkte, wo wir 1913 den Grundstein zum Dornacher Goetheanum legen konnten, war die Anthroposophische Gesellschaft als Hüterin der anthroposophischen Bewegung in einem gewissen Gebiete der Welt durch ihre einzelnen Zweige verbreitet. Und aus dem Schoße dieser Gesellschaft heraus ist ja dann der Impuls entstanden, einen eigenen Zentralbau aufzurichten. Vielleicht wird man gerade hier doppelt all das durchempfinden können, was die gesamte Anthroposophiche Gesellschaft erleidet, indem sie diesen Zentralbau verloren hat. Denn hier in Stuttgart ging die Anthroposophische Gesellschaft mit jenem Bau voran, in dem wir seit vielen Jahren schon unsere Tätigkeit entfalten dürfen. Daher wird man hier wissen, was es heißt, von einem eigenen, der anthroposophischen Bewegung würdigen Baurahmen umgeben zu sein.»

    Rudolf Steiner:
    Anthroposophische Gemeinschaftsbildung
    GA 257

    Nach dem Brand wird schon bald darüber nachgedacht, das Goetheanum in völlig anderer Gestalt neu aufzubauen. Es sollte jetzt ein Bau ganz aus Beton werden, obwohl dies ein Baumaterial war, mit dem man für ein Bauvorhaben dieser Größe noch sehr wenig Erfahrung hatte. Der Grundstock der Finanzierung bildete die Geldsumme, die der «Verein des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» aus der Brandversicherung erhalten sollte. Im Unterschied zum 1. Goetheanum, bei dem für Rudolf Steiner die Innengestaltung im Vordergrund stand, entwarf Rudolf Steiner für das 2. Goetheanum zuerst ein Außenmodell, welches die Grundlage für die Baueingabe bei den zuständigen Behörden war.

    Goetheanum, Goetheanunbrand
    Goetheanum, Goetheanunbrand

    Nach dem verheerenden Brand plante Rudolf Steiner nicht nur ein völlig anders gestaltetes 2. Goetheanum, er forderte darüber hinaus, dass auch die Anthroposophische Gesellschaft grundlegend neu strukturiert werden muss.

    «Denn wenn heute der Wunsch auftaucht, so etwas wie ein Goetheanum wiederum zu erbauen, so ist es vor allen Dingen notwendig, daß wir uns bewußt sind: Ohne eine dahinterstehende starke, energische Anthroposophische Gesellschaft ist ein solcher Wiederaufbau ohne Sinn. Der Wiederaufbau hat nur einen Sinn, wenn hinter ihm eine ihrer selbst bewußte, ihrer Pflichten eingedenke, starke Anthroposophische Gesellschaft steht. Demgegenüber darf aber nicht vergessen werden, welches die Bedin- gungen für das Bestehen einer solchen starken Anthroposophischen Gesellschaft sind.

    Möge der Dornacher Brand ein Wahrzeichen sein zu dem Willen, unsere Kräfte im Sinne der Anthroposophischen Gesellschaft recht zu erstarken, zu erstarken zu redlichem, ehrlichem Zusammenwirken.»

    Rudolf Steiner:
    Anthroposophische Gemeinschaftsbildung, 1. Vortrag
    GA 257

    Ein Jahr nach der Vernichtung des 1. Goetheanums wurde die «Anthroposophische Gesellschaft» als «freie Mitgliedergesellschaft» während der Weihnachtstagung 1923/1924 neu gegründet. Diese wichtige Gründungsversammlung fand neben der Bauruine in den Räumlichkeiten der Schreinerei statt. Doch diese Neugründung wird hier nicht weiter beschrieben, weil ich auf dieser Seite so weit wie möglich nur auf die Geschichte und Entwicklung des «Bauvereins« eingehe möchte, also auf den «Verein des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft», aus dem dann die heutige «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» hervorgegangen ist.

  • 29. Juni 1924: Dritte außerordentliche Generalversammlung des «Bauvereins»

    Am 29. Juni 1924 fand die 3. außerordentliche Generalversammlung des «Verein des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» statt.
    Zu dieser Generalversammlung waren die wenigen Mitglieder dieses Bauvereins eingeladen. Im Protokoll von Notar Altermatt ist festgehalten, dass von den 12 ordentlichen (stimmberechtigten) Mitgliedern sieben anwesend bzw. vertreten waren! Die vielen Tausend Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft waren nicht eingeladen und hatten daher größtenteils auch keine Kenntnis von dieser Versammlung, denn was hier besprochen und entschieden wurde, betraf ja den Bauverein, und nicht ihre freie Mitgliedergesellschaft.

    Ziel dieser Generalversammlung war es, eine sinnvolle Gliederung zwischen den beiden bestehenden Institutionen, der «Anthroposophischen Gesellschaft» und dem «Verein des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» vorzubereiten.

    Schon ein halbes Jahr davor, während der Gründungsversammlung der «Anthroposophischen Gesellschaft», hatte Rudolf Steiner bei einer Fragebeantwortung während einer Sitzung mit den Vorständen und den Generalsekretären der Landesgesellschaften darauf hingewiesen, dass das Verhältnis dieser zwei Institutionen noch geklärt werden müsse.

    Fräulein Schwarz stellt Fragen.

    Rudolf Steiner:
    «Der «Verein des Goetheanum» kann ja nur Beiträge bekommen für den Aufbau des Goetheanums. Und der Aufbau des Goetheanums hat mit der Verwaltung der Anthroposophischen Gesellschaft nichts zu tun. Also das sind zwei ganz verschiedene Sachen. Sie meinen doch die Mitgliedsbeiträge für den «Verein des Goetheanum»? Dieses Verhältnis der Anthroposophischen Gesellschaft zum Bauverein Goetheanum, das ist ja etwas, was noch in diesen Tagen besprochen werden kann.»

    Rudolf Steiner:
    Fragebeantwortung am 29. Dezember 1923
    GA 257

    Im Rahmen der hier beschriebenen Generalversammlung des «Verein des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» führte nun Rudolf Steiner erstmals ausführlich aus, wie er die Verbindung dieser zwei unabhängigen Institutionen «projektiert» hat. Er schilderte, wie die «rein realen Dinge», also die real vorhandenen Institutionen, in eine ihnen angemessene Verbindung gebracht werden können. Dabei handelte es sich insgesamt um «vier Strömungen», zwei davon waren die beiden bestehenden Institutionen, deren Entwicklung auf diesen Internetseiten bisher beschrieben werden:

    1. Die Anthroposophische Gesellschaft mit der in dieser eingebundenen «Freien Hochschule für Geisteswissenschaft».

    2. Der «Verein des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft», von dem auf dieser Internetseite die Rede ist.

    Neben diesen zwei Einrichtungen nannte Rudolf Steiner noch zwei weitere «reale Strömungen», die er in die zu schaffende Gesamtkonstruktion einbinden wollte:

    3. Den Philosophisch-Anthroposophischen Verlag, begründet und geleitet von Marie Steiner.

    4. Das Klinisch-Therapeutische Institution, begründet und begleitet von Dr. Ita Wegman.

    Über die Vorgänge, die hier beschrieben werden, wussten die allermeisten Mitglieder der «Anthroposophischen Gesellschaft» jahrzehntelang nichts, denn erst gute 40 Jahre danach, im Jahre 1966, wurden im Band 260a der Rudolf Steiner Gesamtausgabe die ersten Dokumente dazu veröffentlicht. Und es dauerte nochmals 21 Jahre, bis im Jahre 1987 in einer Beilage zur 2. Auflage noch weitere Dokumente veröffentlicht wurden, die nachträglich gefunden wurden. Trotzdem bleiben bis heute noch viele Fragen ungeklärt, denn die vorhandenen Dokumentationen sind nach wie vor lückenhaft. Zudem können Fehler in vereinzelten Nachrichten, Protokollen oder in den Übertragungen der stenographierten Mitschriften nicht ausgeschlossen werden.

    Trotz alledem können die Absichten Rudolf Steiners recht deutlich erkannt werden. Und so werde ich auch auf dieser Seite zur Geschichte der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» die Vorgänge so darstellen, dass ich es vermeide, mich in unnötige Einzelheiten zu verlieren, um nicht den Blick auf das Ganze zu verlieren.

    Die vier oben aufgeführten «Strömungen» sollten vier Unterabteilung eines Vereins mit dem Namen «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» werden.

    «Es wird also notwendig sein, daß da bestehen werden die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft als handelsregisterlich eingetragener Verein. Innerhalb dieser Anthroposophischen Gesellschaft werden vier Unterabteilungen zu begründen sein. Diese vier Unterabteilungen sind von mir in der Weise projektiert, daß ich dabei durchaus keine programmatischen Dinge, sondern nur die rein realen Dinge berücksichtige.»

    Rudolf Steiner:
    Die Konstitution der Allgemeine Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft
    GA 260a

    Die hier von Rudolf Steiner genannte Einrichtung «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht und sollte offenbar erst noch gegründet werden (vermutlich am 3. August, s. weiter unten).

    Im Anschluss an die oben zitierte Stelle führt Rudolf Steiner diese vier realen (vorhandenen) Strömungen nochmals auf:

    «Reale, vom Anfang an in lebendiger organischer Tätigkeit wirkende Institutionen, haben wir in vier, ich möchte sagen, vier Strömungen, die da vorliegen. Erstens in der Anthroposophischen Gesellschaft selber,…

    Als zweites innerhalb unserer Bewegung haben wir den
    Philosophisch-Anthroposophischen Verlag, der jetzt nach Dornach übersiedelt ist, und der nicht anders behandelt werden kann, als ein integrierender Teil der anthroposophischen Bewegung selber.

    Die dritte Unterabteilung - wie gesagt, ich zähle historisch auf -, sie würde der
    Verein des Goetheanum in Dornach selber sein, der als dritte Institution entstanden ist,…

    Und als viertes würde sich dann eingliedern das
    Klinisch-Therapeutische Institut, das ja von Frau Dr. Wegman begründet worden ist aus anthroposophischen Grundgedanken heraus.»

    Rudolf Steiner:
    Die Konstitution der Allgemeine Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft
    GA 260a

    Um nun dieses «Verhältnis der Anthroposophischen Gesellschaft zum Bauverein Goetheanum» vorzubereiten, sollte der hier dargestellte «Verein des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» in einen übergeordneten Verein mit dem Namen «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» eingegliedert werden.

    Im Bild dargestellt hat Rudolf Steiner am 29. Juni 1924 demnach folgenden Gesamtorganismus projektiert:

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    Nachdem dieser projektierte Gesamtorganismus dargestellt war, wurden Satzungsänderungen sowie Veränderungen in der Zusammensetzung des Vorstandes des «Verein des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» besprochen und verabschiedet.

    Neben den Satzungsänderungen sollte der Verein eine neue Zusammensetzung der Vorstandsmitglieder bekommen, wobei Rudolf Steiner den Platz des 1. Vorsitzende übernehmen wollte und der bisherige Vorsitzende, Dr. Emil Grosheintz, 2. Vorsitzender werden sollte.

    Von großer Wichtigkeit ist es nun aber sich klar zu machen, dass die Satzungsänderungen, die auf dieser Generalversammlung besprochen und beschlossen wurden, hinterher nicht beim Handelsregister eingetragen und somit auch nicht rechtswirksam umgesetzt wurden.

    Aus den bestehenden Dokumenten ist zu erkennen, dass es vor und nach dieser Generalversammlung verschiedene Überlegungen gab, um das dort beschriebene Ziel zu verwirklichen. Es wurden unterschiedliche Wege eingeschlagen, die dann doch nicht weiter verfolgt und umgesetzt wurden.

    Trotz alledem, das Ziel Rudolf Steiners ist klar erkennbar:
    Die vier bestehenden, realen Ströme sollten einerseits in ihrer Eigenständigkeit bestehen bleiben, und andererseits unter einem gemeinsamen Rechtsdach – einem Verein mit dem Namen «
    Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» – zusammengeführt werden.
    Es ging Rudolf Steiner also erkennbar nie und nimmer um die Schaffung bzw. um die Begründung einer Einheitsgesellschaft, im Sinne des «gemischten Königs».

    «Auf geisteswissenschaftlichem Boden vereinigt man sich dadurch, daß man differenziert, individualisiert, nicht daß man zentralisiert.»

    Rudolf Steiner
    «Das Schicksalsjahr 1923 in der Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft»
    Ansprache, GA 259, 28. 02. 1923

  • 3. August 1924: «Gründungsversammlung einer Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» ?

    Etwa einen Monat nach der oben beschriebenen Generalversammlung, am 3. August 1924, fand vermutlich eine Gründungsversammlung für eine «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» statt, die ins Handelsregister eingetragen werden sollte. Es ging also offenbar darum, den oben dargestellten «Dachverein» zu begründen, in dem die vier realen Strömungen als eigenständige Unterabteilungen zusammengeführt werden sollten.

    Ein Protokoll von dieser Gründungsversammlung ist bis heute nicht bekannt. Es wurde aber eine
    Rechnung des Notars Altematt gefunden, in dem dieser unter anderem seine Mitwirkung auch an dieser Gründungsversammlung vom 3. August aufführt und in Rechnung gestellt hatte. Deshalb darf mit einer gewissen Berechtigung gesagt werden, dass diese Gründungsversammlung am 3. August tatsächlich stattgefunden haben muss.

    Aber auch hier ist wichtig festzuhalten, dass trotz der Mitwirkung eines Notars nichts von dem rechtswirksam umgesetzt wurde, was hier ein vermutlich sehr kleiner Teilnehmerkreis besprochen und beschlossen hatte.

    Zu rechtswirksamen Statutenänderungen des «Bauvereins» sowie zu einer Neubesetzung des Vorstands kam es erst etwa ein halbes Jahr später, am 8. Februar 1925.

  • 8. Februar 1925: Erweiterung und Umbenennung des Vereins in «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft

    An dieser Stelle werde ich zuerst beschreiben, was an diesem 8. Februar rechtswirksam geschehen ist. Die weiteren Einzelheiten dieses wichtigen Tages, die in den Jahrzehnten danach zu unzähligen Missverständnissen, zu heftigsten Streitigkeiten bis hin zu zahlreichen Mitgliederausschlüssen geführt haben, werde ich im Anschluss daran weiter unten beschreiben.

    Ein gutes halbes Jahr nachdem Rudolf Steiner erstmals ausführlich dargestellt hatte, wie er sich die Verbindung von «Mitgliedergesellschaft» und «Trägerverein» vorstellte, fand an diesem 8. Februar 1925 die 4. ausserordentliche Generalversammlung des «Verein des Goetheanum der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» statt. Da Rudolf Steiner seit über 4 Monaten ans Krankenbett gefesselt war, konnte er nicht an der Versammlung teilnehmen und ließ sich durch Dr. Grosheintz vertreten.

    Im Unterschied zur geplanten Vereinsgründung am 3. August 1924 wurde nach der hier beschriebenen 4. ausserordentlichen Generalversammlung ein Beschlussprotokoll beim Handelsregister eingereicht.

    Auch hier ist es von allergrößter Wichtigkeit, dass man sich klar darüber wird, dass die hier getroffenen Beschlüsse nur den «Verein des Goetheanum der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» betrafen. Wie schon am 29. Juni und am 3. August 1924 hatten auch hier die weltweit etwa 12.000 Mitglieder der «Anthroposophischen Gesellschaft» zu diesem Zeitpunkt keine Informationen über das hier Beschlossene. Sie mussten auch nicht informiert werden, denn sie waren ja als Mitglieder der «Anthroposophischen Gesellschaft» von diesen Entscheidungen gar nicht unmittelbar betroffen. Hätten sich die Beschlüsse auf ihre Mitgliedergesellschaft bezogen, so hätte man sie selbstverständlich zu einer solchen Versammlung einladen müssen. Dass dies unzweifelhaft richtig ist, dass die «Anthroposophische Gesellschaft» unmittelbar nichts mit der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» zu tun hat, und dass letztere durch eine Namensänderung aus dem «Verein des Goetheanum der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» hervorgegangen ist, zeigt sowohl der Auszug zu den Änderungen im Handelsregister als auch die amtliche Bescheinigung der Amtschreiberei Dorneck vom Dezember 1962.

    Mit der Anmeldung der Beschlüsse im Handelsregister und deren öffentlichen Publikation im März 1925 wurde die geplante Verbindung der vier bestehenden, realen Ströme unter einem gemeinsamen Verein «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» umgesetzt.

    Allerdings wich der hier vollzogene Weg in einigen wichtigen Punkten von den ursprünglichen Plänen des 29. Juni 1924 ab.

    Die wesentlichsten Punkte dieser Änderungen des «Vereins des Goetheanum, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» waren:

    • Der Verein ändert seinen Namen in «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft»
    • Der Verein erweitert sich durch 4 Unterabteilungen
    • Die Administration des Goetheanum-Baues wird jetzt eine der 4 Unterabteilungen (und nicht mehr der Bauverein selbst)
    • Die Administration der Anthroposophischen Gesellschaft wird Unterabteilung (und nicht mehr die «Anthroposophische Gesellschaft im engeren Sinne»)
    • Der Verein erhält einen komplett neuen Vorstand

    Zu diesen Veränderungen ist im Einzelnen folgendes zu sagen.

    – Als 1. Unterabteilung wird nur noch die «Administration der Anthroposophischen Gesellschaft» in den erweiterten Verein integriert, also nicht mehr die «Anthroposophische Gesellschaft im engeren Sinne».
    Das bedeutet, Rudolf Steiner wollte die «Anthroposophische Gesellschaft» von möglichst allen verwaltungsmäßigen Aufgaben – wie z.B. der Verwaltung der Mitglieder und Mitgliederbeiträge – befreien, indem er die Strukturen so einrichtete, dass diese Aufgaben von der neu geschaffenen 1. Unterabteilung im Sinne eines «Dienstleister» für die Mitgliedergesellschaft übernommen werden sollte.
    Rudolf Steiner versucht dadurch konsequent umzusetzen, was er schon im Januar des Vorjahres gefordert hatte: «Es ist der Versuch gemacht worden, mit alldem, was Vereinswesen ist, zu brechen …»

    – Als 3. Unterabteilung übernimmt die «Administration des Goetheanum-Baues» die Aufgaben des bisherigen «Verein des Goetheanum der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft», der sich ja durch die Statuten-Änderungen zu einer Art «Dachorganisation» erweitert hat. Einige Tage nach dieser Sitzung werden 7 Administratoren berufen, welche die administrativen Leitungsaufgaben des bisherigen «Bauvereins» übernehmen sollten, einer dieser 7 Administratoren war der bisherige 1. Vorsitzende, Dr. Emil Grosheintz.

    – Der Verein erhält einen komplett neuen Vorstand. Dieser ist identisch mit dem Vorstand der freien Mitgliedergesellschaft «Anthroposophische Gesellschaft»:

    • 1. Vorsitzender
      Dr. Rudolf Steiner
    • 2. Vorsitzender
      Albert Steffen
    • Schriftführer
      Dr. Ita Wegman
    • Beisitzer
      Frau Marie Steiner
    • Beisitzer
      Fräulein Dr. Elisabeth Vreede
    • Sekretär und Schatzmeister
      Dr. Guenther Wachsmuth

    Im Bild dargestellt haben wir also nach diesem 8. Februar folgende Situation:

    Stacks Image 1751

    Mit der Anmeldung zur Eintragung ins Handelsregister ist also durch Rudolf Steiner das umgesetzt worden, was er seit über einem Jahr als Ziel verfolgt hatte. Diese Eintragung ins Handelsregister war auch der letzte von Rudolf Steiner vollzogene Formakt in dieser rechtlichen Sache.

    Es gab auf der einen Seite nach wie vor die freie Mitgliedergesellschaft mit dem Namen «Anthroposophische Gesellschaft» mit den Statuten, die während der Weihnachtstagung 1923/1924 nach dreifacher Lesung verabschiedet wurden und für damals weltweit ca. 12.000 Mitglieder die Grundlage dieser Gesellschaft bildeten.

    Auf der anderen Seite gab es die «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft», also der umbenannte und in seinen Aufgaben erweiterte Bauverein. Dieser Verein hatte auch nach der ausserordentlichen General-Versammlung vom 8. Februar nur 15 stimmberechtigte Mitglieder. Daran hat sich durch die im Handelsregister eingetragene Namensänderung und der veränderten Zusammensetzung des Vorstandes nichts geändert.

    Im Bild dargestellt haben wir also nach dem 8. Februar 1925 folgende Situation:

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    Wäre alles so verstanden und danach gehandelt worden, wie es Rudolf Steiner mit den Änderungen des 8. Februar umgesetzt hatte, es wäre nie zu den entsetzlichen Streitigkeiten unter den Mitgliedern der «Anthroposophische Gesellschaft» gekommen. Als freie Mitgliedergesellschaft hätte sich diese «Anthroposophische Gesellschaft» dynamisch entwickeln und eine Ausstrahlungskraft entfalten können, die wir uns kaum vorstellen können.

    Die Tragödie der «Anthroposophischen Gesellschaft» begann also nicht mit, sondern nach dem 8. Februar 1925.

    Der wesentliche Grund für das nun folgende Drama war und ist bis heute, dass die Veränderungen der Statuten des Bauvereins vom 8. Februar 1925 nicht auf diesen selbst, sondern auf die «Anthroposophischen Gesellschaft» bezogen wurden. Das war niemals die Absicht Rudolf Steiners und konnte es auch nie gewesen sein.


    Wie ist es aber zu erklären, dass selbst den engsten Mitarbeitern Rudolf Steiners offenbar nicht wirklich bewusst war, wie er sich die Gesamtstruktur von «freier Mitgliedergesellschaft», «Bau- und Trägerverein» sowie der «Freien Hochschule für Geisteswissenschaft» vorgestellt hat?

    Auf diese Frage gibt es nicht nur eine Antwort.
    Man muss sich einerseits klar darüber werden, dass die meisten von Ihnen mit gänzlich anderen Aufgaben beschäftigt waren. Für sie hatte also die Frage der rechtlichen Gliederung und Strukturierung der vorhandenen Institutionen eher eine zweitrangige Bedeutung. So war beispielsweise Marie Steiner sehr viel auf Reisen, um sich für die Begründung und Entwicklung der Eurythmie und der Sprachgestaltung einzusetzen. Ita Wegman arbeitete mit ganzer Kraft an der Begründung der Anthroposophischen Medizin und war mit der Leitung und dem Aufbau ihrer Klinik beschäftigt.

    Andererseits hatten diese engsten Mitarbeiter in den letzten Wochen vor Rudolf Steiners Tod nur sehr selten die Möglichkeit, Steiner am Krankenbett zu besuchen, daher gab es für sie auch kaum Gesprächs- und Austauschmöglichkeiten mit Rudolf Steiner. So kann man ahnen, dass in dieser schwierigen Situation selbst den Vorstandsmitgliedern das notwendige Verständnis fehlte, wie Rudolf Steiner all diese rechtlichen Fragen im Einzelnen lösen wollte.


  • 3. März 1925: Eintragung der Änderungen in das Handelsregister

    Mit dem Datum «3. März 1925» wurde die oben beschriebene und von Rudolf Steiner unterschriebene «Anmeldung für das Handelsregister» veröffentlicht und damit rechtsgültig. Die von diesen Veränderungen betroffenen Menschen im Umfeld Rudolf Steiners waren darüber informiert und damit in den Prozess einbezogen, so u.a. Ita Wegman und Marie Steiner als Eigentümerinnen der in den neu gestalteten Verein eingegliederten Klinik bzw. des darin eingegliederten Verlages.

    Wer nicht über diese gravierenden Veränderungen informiert wurde, waren die weltweit verstreuten ca. 12.000 Mitglieder der «Anthroposophischen Gesellschaft». Diese mussten aber auch nicht zwingend informiert werden, da sie und ihre «freie Mitgliedergesellschaft» nicht unmittelbar von den Veränderungen des «Bauvereins» betroffen waren. Ihre «Freie Mitgliedergesellschaft» ist ja nicht wie ursprünglich mal geplant Bestandteil dieses neugestalteten Vereins geworden. Vielmehr sollte dieser umgewandelte Bauverein lediglich die administrativen Aufgaben für diese «freie Mitgliedergesellschaft» übernehmen. Dafür wurde die Unterabteilung «Administration der Anthroposophischen Gesellschaft» in den neugestalteten «Bauverein» eingegliedert. Über diese Veränderung wären die ca. 12.000 Mitglieder der «Anthroposophischen Gesellschaft» vermutlich spätestens bei der nächsten Mitgliederversammlung ausführlich informiert worden.

    Dass für diese komplexen rechtlichen Fragen nicht nur bei den einfachen, sondern auch bei «prominenten Mitgliedern» wenig Kenntnis und Verständnis vorhanden war, bezeugt auch ein Brief von Emil Leinhas, den er im März 1926 an den Sekretär der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» gerichtet hatte.

    Aus einem Brief von Emil Leinhas an Herrn Dr. Wachsmuth vom 30 März 1926

    ...
    Ich füge noch das mir vom Sekretariat geliehene Exemplar der Statuten der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft zu meiner Entlastung wieder hier bei. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass nicht nur die Mitglieder im allgemeinen, sondern auch die prominenten Persönlichkeiten der Gesellschaft über diese Statuten ziemlich im Unklaren sind. Zum Beispiel herrrscht eine allgemeine Unsicherheit darüber, ob die Mitglieder in der Generalversammlung stimmberechtigt sind; vielfach wird angenommen, es seien nur wenige Persönlichkeiten in der Gesellschaft überhaupt stimmberechtigt. Von einem Generalsekretär (Herrn Hohlenberg) wurde ich gebeten, die Anregung weiterzugeben, dass man wenigstens den Generalsekretären eine Abschrift der Statuten der Gesellschaft übergeben möchte. Ich möchte diese Anregung hiermit weitergeben und die Frage aufwerfen, ob es nicht vielleicht doch ratsam wäre, die Statuten gelegentlich im Nachrichtenblatt zur allgemeinen Kenntnis zu bringen.

    Mit besten Grüßen bin ich Ihr

    Leinhas

    aus:
    Beiträge zur Gesamtausgabe, Ausgabe 98, Seite 46 bis 48

    Durch diesen Brief erfahren wir, dass den Mittgliedern der «Anthroposophischen Gesellschaft» die Statuten der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» noch nicht einmal bekannt gemacht wurden, obwohl diese ja von Amtes wegen durch die Veröffentlichung am 3. März für jedermann zugänglich waren.

    Aus heutiger Sicht betrachtet ist es jedenfalls sehr wichtig, dass wir uns klar machen, wie groß damals die allgemeine Unsicherheit und Unkenntnis in dieser Sache war.

  • 22. März 1925: Mitteilung des Vorstandes

    Das wohl tragischste Geschehen im Drama der Konstitutionsprozesse vor Rudolf Steiners Tod ist mit dem Datum vom 22. März 1925 verbunden.
    Um das, was an diesem Tag geschah, besser einordnen und richtig beurteilen zu können, werde ich zuerst etwas beschreiben, wie Rudolf Steiner während seiner letzten Lebensmonate gearbeitet und gelebt hat.

    Am 1. Oktober 1924, ziemlich genau 1/2 Jahr vor seinem Tod, zieht Rudolf Steiner von seinem Zimmer im «Haus Hansi» ins Atelier beim Goetheanum, weil es dort bessere Möglichkeiten für die erforderliche Pflege gab. Ohne dieses Atelier zu Lebzeiten nochmals verlassen zu können, verbrachte Rudolf Steiner dort die letzten sechs Monate seines Lebens.

    «Nun lebe ich hier und gehe aus der Wärme gar nicht einen Schritt heraus»


    Aus:
    Rudolf Steiner – Marie Steiner von Sivers
    Briefwechsel und Dokumente, GA 262, 2. Oktober 1924

    «Und während ich die Reise nach Berlin machen und dort in großen Sälen hätte vortragen sollen: bewege ich mich hier zwischen Bett, «bequemen Stuhl” und Baderaum. Das sind alle meine jetzigen Reisen.»

    Aus:
    Rudolf Steiner – Marie Steiner von Sivers
    Briefwechsel und Dokumente, GA 262, 26. Oktober 1924

    Doch obwohl er sein Krankenlager nicht mehr verlassen konnte, arbeitete Rudolf Steiner während dieser ganzen Zeit. Zu seinen regelmäßigen Arbeiten gehörte unter anderem:

    • Das regelmäßige Schreiben der «Briefe an die Mitglieder» sowie der «Anthroposophischen Leitsätze» und die Veröffentlichung im Nachrichtenblatt «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht»
    • Das Schreiben seiner Autobiographie »Mein Lebensgang», welche kapitelweise veröffentlicht wurde
    • Das Verfassen verschiedener Zeitungsartikel
    • Rudolf Steiner schrieb zusammen mit Ita Wegman an ihrem gemeinsamen Buch «Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen»
    • Entwürfe für choreographische Formen zur Eurythmie
    • Herausgabe der Zeitschrift «Das Goetheanunm»
    • Arbeiten im Zusammenhang mit der Bauplanung und Baugenehmigung des 2. Goetheanums

    Es könnte noch vieles aufgezählt werden. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle nur noch, dass sich Rudolf Steiner immer wieder um alle organisatorischen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Verein «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» kümmerte, obwohl er phasenweise so geschwächt war, dass er selbst seine engsten Mitarbeiter nicht an seinem Krankenbett empfangen konnte.

    Über Günther Wachsmuth, der als Sekretär der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» für die Umsetzung der komplexen, rechtlichen Beschlüsse zuständig war, schrieb Rudolf Steiner an seine Frau:

    «Selbst Dr. Wachsmuth habe ich bisher nicht hereingelassen; er muss die Dinge bringen und durch Dr. Wegman werden sie dann ihm wieder gegeben.»

    Aus:
    Rudolf Steiner – Marie Steiner von Sivers
    Briefwechsel und Dokumente, GA 262, 11. Oktober 1924

    «Ich habe in den letzten Tagen unter denen, die ich zu mir hereinlasse, auch Dr. Wachsmuth haben müssen; es geht nicht anders. Aber er muss sich eben auch gewöhnen zu gehen, wenn ich ihm bemerklich mache, dass ich nicht weiter kann.»

    Aus:
    Rudolf Steiner – Marie Steiner von Sivers
    Briefwechsel und Dokumente, GA 262, 21. Oktober 1924

    Dass es unter diesen Bedingungen in Bezug auf die Fragen der Konstitution der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» bei Günther Wachsmuth zu Missverständnissen kommen konnte, dass er vielleicht die eine oder andere Wichtigkeit nicht ganz richtig verstanden hatte, obwohl dies in erster Linie seine Aufgabe war, das kann man sich aus heutiger Sicht gut vorstellen.


    Nun aber zu dem eigentlichen Thema dieses Kapitels:

    Am 22. März 1925 erscheint im Nachrichtenblatt eine «Mitteilung des Vorstandes» an die ca. 12.000 Mitglieder der «Anthroposophischen Gesellschaft».

    Mit dieser Mitteilung wurde den Mitgliedern erklärt, wie sich Rudolf Steiner die künftige Gliederung der «Anthroposophischen Gesellschaft» mit ihren 4 Unterabteilungen vorstellte. Dass sich diese Gliederung aber nicht auf die «freie Mitgliedergesellschaft» sondern auf den früheren «Bauverein» bezog, der am 8. Februar 1925 zur «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» erweitert worden war, das konnten die Mitglieder damals nicht verstehen. Dazu gibt es verschiedene Gründe. Einer davon ist, dass die allermeisten Mitglieder weltweit nur sehr wenig vom «Bauverein» wussten. Ein anderer Grund ist, dass Rudolf Steiner in dieser «Mitteilung des Vorstandes» an vielen Stellen falsch zitiert wurde bzw. die zitierten Worte vom 29. Juni 1924 ganz gezielt gekürzt wurde – von wem auch immer! Vor allem durch die Kürzungen wurde den weltweit verstreuten Mitgliedern ein völlig falsches Bild von dem vermittelt, was Rudolf Steiner mit der Erweiterung und Namensänderung des «Bauvereins» am 8. Februar 1925 umgesetzt hatte.

    Der Basler Architekt Wilfried Boos war der erste, dem nach der Erstveröffentlichung dieser beiden Textstellen in der Gesamtausgabe (GA 260a, 1966) die Textunterschiede aufgefallen waren. Rudolf Saacke war es dann, der mit einer Gegenüberstellung dieser Texte nachgewiesen hatte, dass man in den gemachten Textänderungen und Textkürzungen eine gezielte Manipulation oder Absicht erkennen kann. In Anlehnung an Rudolf Saacke und seinen Aufsatz «Was hat der 8. Februar 1925 mit den Gegnern zu tun?» habe auch ich an dieser Stelle eine synoptische Gegenüberstellung der beiden Texte als PDF-Datei veröffentlicht.

    Leider ist bis heute nicht geklärt, wer diese «Mitteilung des Vorstandes» verfasst und ins Nachrichtenblatt gebracht hat! Rudolf Steiner, der 1. Vorsitzende der Gesellschaft, kann sie jedenfalls weder geschrieben noch für die Veröffentlichung genehmigt haben!

    Mit dieser «Mitteilung des Vorstandes» entstanden die Verwirrungen und Missverständnisse, die bis in die heutige Zeit reichen und noch immer nicht überwunden sind.


    Zum Schluss dieses Kapitels möchte ich hier nochmals an das anknüpfen, worauf ich oben zu Beginn dieses Abschnittes hingewiesen habe:

    Rudolf Steiner kümmerte sich auf seinem Krankenlager um endlos viele Aufgaben. Wir wissen, dass er – bevor etwas in Druck ging, z.B. das Nachrichtenblatt oder die Wochenzeitschrift «Das Goetheanum» – bis zuletzt mit großer Regelmäßigkeit die Druckfahnen kontrollierte und korrigierte.

    Wir wissen auch, dass Rudolf Steiners Krankheitszustand vor der Veröffentlichung dieser «Mitteilung des Vorstandes» noch nicht besorgniserregend war. Seine Frau, Marie Steiner, war zu dieser Zeit in Stuttgart und dort u.a. für die Eurythmie tätig. Nach diesem 22. März 1925 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand unerwartet schnell und heftig. Am Sonntagabend wurde Marie Steiner darüber informiert, dass im Befinden Rudolf Steiners eine Verschlimmerung eingetreten sei. Am Montagmorgen um 6 Uhr wurde Marie Steiner erneut angerufen, und erst jetzt teilt man ihr mit, dass das Schlimmste zu befürchten sei. Um 7 Uhr hatte sie die Möglichkeit, mit Emil Leinhas in einem Auto nach Dornach zu fahren. Als sie am Montag gegen 10 Uhr dort ankam, war Rudolf Steiner, ihr Ehemann, bereits verstorben.

    Wie ist diese unerwartet schnelle Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erklären?

    Ich möchte an dieser Stelle etwas anführen, das ich schon lange vermute, aber selbstverständlich nicht beweisen kann:

    • Könnte es sein, dass Rudolf Steiner die Druckfahne dieser «Mitteilung des Vorstandes» nicht vorgelegt wurde, obwohl das Korrekturlesen der Druckfahnen bis zuletzt zu seinen regelmäßigen Aufgaben gehörte?
    • Könnte es sein, dass Rudolf Steiner diese «Mitteilung des Vorstandes» erst zu lesen bekam, nachdem sie gedruckt und veröffentlicht worden war?
    • Könnte es sein, dass das Lesen dieser «Mitteilung des Vorstandes» auf Rudolf Steiner wie ein Todesstoß wirkte, weil ihm in dem Moment klar gewesen sein muss, welche Verwirrungen dadurch entstehen würden?
    • Könnte es sein, dass Rudolf Steiner, nachdem er diese «Mitteilung des Vorstandes» gelesen hatte, erkannt hat, dass sein «Wagnis» gescheitert ist?

    «Es war in gewissem Sinne ein Wagnis, in den Wochen vor der Weihnachtstagung zu dem Entschlüsse zu kommen, daß ich selbst den Vorsitz der Anthroposophischen Gesellschaft, wie sie nun vom Goetheanum aus begründet worden ist, übernehmen konnte. Denn bisher war es ja so, daß ich durchaus nur im Hintergrunde als Lehrer innerhalb der anthroposophischen Bewegung gelten wollte und offiziell kein Amt annahm. Es ist schwierig, mit all demjenigen, was in der geistigen Welt als Verpflichtung dem Lehrenden auferlegt ist, mit all den Verantwortlichkeiten gegenüber der geistigen Welt gerade in der heutigen Zeit die äußere Verwaltung der Gesellschaft zu übernehmen, die nun einmal die Verwaltung des Geistesgutes, des Weisheitsgutes der Anthroposophie zu ihrer Aufgabe hat. Allein, es mußte geschehen. Es war aber insofern ein Wagnis, als man natürlich vor der Eventualität stand, daß auch dadurch manches verlorengehen könnte von jenen spirituellen Strömungen, die einmal aus der geistigen Welt heute in die Menschenwelt herein wollen, und deren Empfangen die Aufgabe der anthroposophischen Bewegung ist. Nun darf aber gesagt werden, daß durchaus die Sache sich so dargestellt hat, daß nicht nur etwa seit der Weihnachtstagung kein Zurückstauen der Offenbarungen aus der geistigen Welt vorliegt, sondern im Gegenteil, daß sogar die geistige Welt mit einer viel größeren Wohlgefälligkeit herabsieht auf dasjenige, was durch die anthroposophische Bewegung in der Anthroposophischen Gesellschaft geschieht und daß die Gaben aus der geistigen Welt eigentlich seit dieser Weihnachtstagung wesentlich reicher geworden sind, so daß wir also auch in dieser esoterischen Beziehung durchaus mit voller Befriedigung auf die Weihnachtstagung zurückblicken dürfen.»

    Rudolf Steiner: Ausführungen über die Weihnachtstagung Vor dem Vortrag in London, 24. August 1924 GA 260a


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  • 30. März 1925: Rudolf Steiners Tod

    Um etwas besser nachvollziehen zu können, weshalb selbst die engsten Mitarbeiter Rudolf Steiners nach dessen Tod nicht wirklich verstanden haben, wie Rudolf Steiner die Gliederung und Strukturierung der «Anthroposophischen Gesellschaft» und der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» geplant hatte, möchte ich im Folgenden etwas ausführlicher beschreiben, wie die Situation vor und nach Rudolf Steiners Tod war. Dazu werde ich u.a. von einigen Vorstandsmitgliedern berichten, die ja seit dem 8. Februar 1925 auch zu den wenigen stimmberechtigten Mitgliedern des hier behandelten Trägervereins «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» gehörten.

    • Die Situation vor Rudolf Steiners Tod

      Unmittelbar nach der Weihnachtstagung erkrankte Rudolf Steiners schwer. In der Folge konnte er nur noch wenig und nur leichtverdauliche Nahrung zu sich nehmen. Es begann ein Kampf gegen diese plötzlich aufgetretene Erkrankung, und dieser Kampf kann in zwei Phasen eingeteilt werden, in:

      1. die Zeit vom Ausbruch der Erkrankung bis zu seinem Zusammenbruch Ende September 1924, und
      2. die Zeit danach bis zu seinem Tod, während der Rudolf Steiner sein gewähltes Krankenlager im Atelier nicht mehr verließ.

      Während der der ersten Phase, den 9 Monaten bis zu seinem Zusammenbruch Ende September 1924, absolvierte Rudolf Steiners ein unvorstellbares Arbeitspensum:

      • Rudolf Steiner unternahm während dieser 9 Monate insgesamt 16 Reisen und hielt in diesen 274 Tagen über 400 Vorträge.
      • Zusätzlich hielt er bei unterschiedlichsten Anlässen zahlreiche Ansprachen.
      • Er leitete Sitzungen, Versammlungen und hielt mehrere Konferenzen mit den Lehrern der ersten Waldorfschule in Stuttgart ab.
      • Er nahm sich anfangs noch Zeit für unzählige persönliche Beratungstermine.
      • Er arbeitete regelmäßig an der großen Christus-Plastik im Atelier sowie am Modell für das 2. Goetheanum.
      • Rudolf Steiner kümmerte sich um Behördengänge und Verwaltungsaufgaben, u.a. im Zusammenhang mit der Planung des 2. Goetheanums.
      • Er verfasste Zeitungsartikel und schrieb die wöchentlichen «Briefe an die Mitglieder.
      • Rudolf Steiner schrieb kapitelweise seine Autobiographie «Mein Lebensgang».
      • Zusammen mit Ita Wegman schrieb Rudolf Steiner zudem an dem gemeinsamen Buch «Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst».

      Den weltweit verstreuten 12.000 Mitgliedern der «Anthroposophische Gesellschaft» war nur annähernd bekannt, was alles Rudolf Steiner während dieser 9. Monate geleistet hat und noch heute ist das Ausmaß dieser körperlichen und geistigen Leistung nur schwer vorstellbar.

      Anders stellte sich die Situation Rudolf Steiners für seine engsten Mitarbeiter dar. Diese erlebten aus nächster Nähe sein enormes Schaffenspensum und waren wegen seines angeschlagenen Gesundheitszustandes immer wieder sehr besorgt um ihn. Unabhängig davon waren auch sie mit ihren eigenen, sehr unterschiedlichen Arbeiten und Aufgaben beschäftigt.

      Am 1. Oktober 1924 begann die zweite Phase des Kampfes Rudolf Steiners mit seiner Erkrankung.
      Rudolf Steiner verlegte seinen Wohn- und Arbeitsplatz in sein Atelier, um sich dadurch den täglichen Weg von seiner Wohnung im «Haus Hansi» zum Schreinereigebäude zu ersparen. Diesen Raum konnte er dann bis zu seinem Tod am 30. März 1925 nicht mehr verlassen.
      Dass er die geplanten und angekündigten Vorträge nicht mehr halten konnte, betrübte ihn sehr. Trotzdem war er auch auf seinem Krankenlager unermüdlich am Arbeiten, vor allem in der Nacht, wo es ihm offenbar immer etwas besser ging.


      Wie sah nun der Arbeitsalltag der engsten Mitarbeiter Rudolf Steiners vor dessen Tod aus? An dieser Stelle möchte ich nur einige Beispiele erwähnen, die deutlich machen können, dass diese Mitarbeiter Rudolf Steiners jeweils mit sehr vielen und sehr unterschiedlichen Aufgaben beschäftigt waren.

      Ich erwähne dies alles an dieser Stelle, um zu zeigen, dass für die engsten Mitarbeiter Rudolf Steiners die Detailfragen zur Gliederung von «Bauverein» und «Anthroposophischer Gesellschaft» zumindest nicht im Vordergrund ihrer Arbeiten standen.

      Marie von Sivers begegnete Rudolf Steiner erstmals im November 1900 in Berlin. Sie stellte ihm die entscheidende Frage nach der Notwendigkeit, eine geistige Bewegung in Mitteleuropa zu begründen. Erst durch ihre Frage wurde es Rudolf Steiner möglich, seine eigenen Geistesforschungen in die Welt zu tragen und eine solche geisteswissenschaftliche Bewegung ins Leben zu rufen. Marie von Sivers wurde dabei seine wohl engste Mitarbeiterin und Weggefährtin und im Dezember 1914 seine Ehefrau. Bis 1921 begleitete sie Rudolf Steiner mit wenigen Ausnahmen auf seinen Reisen.
      1924 und 1925 war Marie Steiner dreimal auf längeren Eurythmie-Tourneen getrennt von Rudolf Steiner unterwegs. Neben ihren vielen anderen Aufgaben, wie z.B. der Betreuung ihres Philosophisch-Anthroposophischen Verlages, kümmerte sich Marie Steiner während dieser Zeit intensiv um die Eurythmie. Die «Konstitutionsfragen» der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» und der «Weihnachtstagungsgesellschaft» standen für Sie jedenfalls nicht im Vordergrund.

      In dieser Hinsicht nicht viel anders war die Situation für Ita Wegman. Auch sie war in erster Linie mit ganz anderen Fragen und Aufgaben beschäftigt. So hatte Ita Wegman u.a. mit der Leitung und dem weiteren Ausbau der von ihr gegründeten «Privatklinik Klinisch-Therapeutisches Institut», mit dem heilpädagogischen Heim «Sonnenhof» sowie mit der Leitung der «Medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum» mehr als genug zu leisten. Zudem schrieb sie während dieser Zeit mit Rudolf Steiner an ihrem gemeinsamen Buch «Grundlegendes zur Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen».

      So wie Marie Steiner und Ita Wegman durch ihre ganz eigenen Aufgaben und Arbeitsbereiche gefordert waren und ihr Fokus mit Sicherheit nicht in erster Linie auf die Konstitutionsfragen gerichtet war, so wird es den allermeiste der Menschen in Rudolf Steiners engstem Umkreis ergangen sein. Edith Maryon, um ein weiteres Beispiel zu erwähnen, war zwar kein Vorstandsmitglied, aber dennoch eine enge und vertraute Mitarbeiterin Rudolf Steiners. Die studierte Bildhauerin aus London arbeitete intensiv mit Rudolf Steiner an der großen Christus-Statue, dem Menschheitsrepräsentanten. Wie stark wird sie involviert gewesen sein in die Frage Rudolf Steines, wie der ehemalige «Bauverein» und die «Anthroposophische Gesellschaft» in ein richtiges Verhältnis gebracht werden können? Bestimmt nahm diese Frage auch für Edith Maryon eine eher zweitrangige Stellung ein.

      Der einzige, der wirklich mit dieser Frage intensiv zu tun hatte, war Günther Wachsmuth. Mit gerade mal 30 Jahren wurde er bei der Weihnachtstagung 1923/1924 als jüngstes Mitglied von Rudolf Steiner in den Vorstand der «Anthroposophischen Gesellschaft» berufen. Davor hatte er für Rudolf Steiner viele Reisen organisiert und war dabei sein persönlicher Assistenten. Als Schatzmeister und Sekretär war er jedoch für alle diese «Konstitutionsfragen» zuständig. Nachdem dann der «Bauverein» am 8. Februar 1925 zur «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» erweitert wurde, war Günther Wachsmuth ja zusätzlich auch noch Schatzmeister und Sekretär dieses erweiterten Trägervereins geworden. Doch diese notwendige Unterscheidung war ihm zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht wirklich bewusst. Und deshalb können wir ihm in diesem Zusammenhang nur den Vorwurf machen, dass ihm hierbei das erforderliche Unterscheidungsvermögen gefehlt hat. Allein dadurch, und nicht durch heimliche oder böswillige Machenschaften wurden nach Rudolf Steiners Tod die verheerenden Entwicklungen möglich, die hier auf diesen Seiten dargestellt werden.

    • Die Situation nach Rudolf Steiners Tod

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  • 29. Dezember 1925: Erste General-Versammlung der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft»

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  • 14. April 1935: Die Mitgliederausschlüsse bei der Generalversammlung

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  • 30. April 1950: «Notwendige Abwehr»

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  • Die «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» heute

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  • Links zum Thema

    Statuten der Anthroposophischen Gesellschaft (heute leider «Prinzipien» genannt)



    Zur Lage der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft
    Probleme – Versäumnisse – Aufgaben
    Ein Memorandum


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